1fach, 2fach oder Mullet?
In diesem Kapitel wird es komplex und leider auch ziemlich unübersichtlich. Ich höre oft: Außer dem Rahmen kann ich später ja alles tauschen oder umbauen. Prinzipiell stimmt das. In der Praxis zieht der Austausch einer Komponente des Antriebs, den Austausch weiterer Komponenten mit sich, so dass es am Ende mehr Sinn macht, gleich ein neues Bike zu kaufen.
Umso wichtiger ist es sich vor der Kaufentscheidung zu Überlegen welche Art von Strecken man plant zu fahren und sich dann mit der passenden Übersetzungsbandbreite und einer sinnvollen Gangabstufung auseinanderzusetzen.

SRAM oder Shimano?
Die Diskussion ob SRAM oder Shimano das bessere System ist, empfinde ich als ähnlich ermüdend, wie die Diskussion ob iOS oder Android das bessere Betriebssystem, für mobile Endgeräte ist. Oder um beim Thema Fahrrad zu bleiben, welcher Bike Computer ist der bessere? Garmin oder Wahoo? Diese Fragen muß jeder nach seinen Vorlieben entscheiden. Es gibt keine eindeutige Antwort.
Dennoch möchte ich auf einige Unterschiede hinweisen, die bei der Kaufentscheidung beachtet werden sollten.
Zuerst einmal ist es beim Gravel-Bike oder auch beim Rennrad nicht möglich eine Schaltung von SRAM mit Bremsen von Shimano, oder umgekehrt zu kombinieren. Beim Mountainbike funktioniert das in den meisten Fällen problemlos, da bei einer Flat-Bar, Schalt- und Bremshebel getrennt sind. Bei einer Drop-Bar werden die Bremshebel auch zum schalten verwendet. Beide Hersteller verwenden unterschiedliche Bremsflüssigkeit, die eine Kombination der Komponenten beider Systeme unmöglich macht.
Dot 5.1 oder mineralisch?
Bei SRAM kommt Dot-Bremsflüssigkeit zum Einsatz, die laut Hersteller regelmäßig gewechselt werden sollte und so aggressiv ist, dass der Umgang nur mit Handschuhen erfolgen sollte. Dies macht das Handling ein wenig aufwändiger. Wenn man sein Bike selbst wartet, ist das kein unwesentlicher Aspekt. Der Vorteil von Dot-Flüssigkeit ist, dass sie wesentlich unkritischer bei hohen Temperaturen ist. Konkret: Bei langen Abfahrten mit exzessivem Gebrauch der Bremsen, erhitzt sich das Hydrauliköl und die Bremsleistung kann nachlassen. Das Hydrauliköl von SRAM steckt die hohen Temperaturen weg, ohne die Bremsleistung merklich zu verringern.
Shimano verwendet mineralisches Hydrauliköl, das wesentlich längere Wartungsintervalle zulässt und bei Kontakt mit der Haut unproblematisch ist. Der Nachteil ist ein eventuelles Nachlassen der Bremsleistung bei hohen Temperaturen der Flüssigkeit. Bei niedrigen Temperaturen verändert sich die Viskosität von mineralischem Öl und die Bremsleistung kann ebenfalls nachlassen.
1fach oder 2fach - mit oder ohne Umwerfer
Zunächst solltest Du Dir die Frage stellen ob Du eher der sportlichere Fahrer bist, für den die optimale Trittfrequenz entscheidend ist, oder ob Du eher einen wartungsarmen Antrieb bevorzugst. Umwerfer sind die wahrscheinlich anfälligste Komponente im Antriebsstrang und mein Lieblingsmechaniker antwortete mir auf auf meine Aussage, daß ich so gut wie nichts über Umwerfer weiß: „Das einzige was man über Umwerfer wissen muß, ist wie man sie abmontiert…“
Im Einstiegssegment wird oft eine Shimano GRX 400 – 2x10fach Gruppe mit folgenden Komponenten verbaut. Eine Kurbel mit zwei Kettenblättern (30 und 46 Zähne) und eine Kassette mit 10 Ritzeln, bei der das kleinste 11 Zähne und das größte 36 Zähne hat.
Bei einer Trittfrequenz von 85 Kurbelumdrehungen pro minute ergibt das im leichtesten Gang (vorne keines und hinten größtes Ritzel) eine Geschwindigkeit von 9,5 kmh und im schwersten Gang (vorne größtes und hinten kleinstes) eine Geschwindigkeit von 47,3 km/h, bei gleicher Trittfrequenz.
Zum Vergleich dazu ein oft verbautes 1fach Setup: SRAM XPLR mit 40er Kettenblatt an der Kurbel und einer 12fach Kassette mit 10 Zähnen am kleinsten und 44 Zähnen am größten Ritzel.
Dieses Setup ergibt bei gleicher Trittfrequenz eine Geschwindigkeit im kleinsten Gang von 10,3 km/h und im schwersten Gang eine Geschwindigkeit von 45,3 km/h.
Was die Übersetzungsbandbreite angeht liegen beide Versionen erstaunlich nah beieinander. Der 2fach Antrieb bietet lediglich eine engere Gangabstufung, die bei den mittleren Übersetzungen zum Tragen kommt. Der Überschneidungsbereich liegt bei einer 85er Trittfrequenz zwischen 16km/h und 26km/h.
Neben der geringeren technischen Anfälligkeit bietet der 1fach Antrieb den Vorteil des einfachen Schaltens – nur hoch oder runter… was im Gelände keine unwesentliche Erleichterung ist.
Ein 2fach Setup das bei teureren Bikes zum Einsatz kommt, ist die Shimano GRX 820 – 2fach / 2×12 Gruppe mit 31/48 Kurbel und 11-36 Kassette. Hier ergibt sich bei 85er Trittfrequenz im leichtesten Gang eine Geschwindigkeit von 9,75km/h und in der längsten Übersetzung 49,4km/h. Von der Übersetzungsbandbreite kein allzu großer Unterschied zum GRX 400 Setup, allerdings mit wesentlich gleichmäßigerer und feinerer Gangabstufung.
Das wirkt jetzt alles erst einmal sehr technisch und theoretisch, macht beim Fahren allerdings einen ziemlich großen Unterschied und ich kann nur empfehlen sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Eine große Hilfe ist die Website www.ritzelrechner.de – hier lassen sich alle möglichen Setups einstellen und auch miteinander vergleichen.
Je klarer Du deine Bedürfnisse definieren kannst um so mehr Folgekosten kannst Du vermeiden. In der Praxis ist es in den seltensten Fällen damit getan, einfach eine Kassette mit anderer Übersetzung zu verbauen. Kassetten mit größeren Ritzen erfordern in den meisten Fällen ein Schaltwerk mit längerem Käfig und unterschiedliche Kassetten erfordern oft einen neuen Freilauf, wobei zu beachten ist, dass nicht jeder Freilauf auf jeder Nabe montiert werden kann.
Ein tragisches Beispiel hierfür ist ein GravelBiker aus meinem Bekanntenkreis, der ein Rose Backroad mit Shimano GRX fährt. Die Übersetzungsbandbreite hat ihm nicht mehr ausgereicht und eine 10-52 / 12fach Kassette sollte drauf. Das wäre mit seinem ursprünglichen Alu Laufradsatz auch machbar gewesen, wenn man den Shimano HG Freilauf durch eine Shimano MicroSpline Freilauf ersetzt hätte. Blöderweise hat er vor ein paar Wochen richtig investiert und sich einen ZIPP Firecrest Carbon-Laufradsatz gegönnt. Da lässt sich kein MicroSpline Freilauf montieren…
Und damit wären wir mit der 10-52 Kassette bei einem Thema angekommen, bei dem es noch unübersichtlicher und chaotischer wird.
Mullet
Ein Mullet ist ein VoKuHiLa und was bei der Frisur, vorne kurz und hinten lang bedeutet, meint bei der Schaltung vorne kleines Ritzel und hinten Mountainbike-Kassette.
Ein Beispiel für ein GravelBike mit lupenreinem Mullet-Antrieb ist das Ceres von ToutTerrain. Es ist mit einer SRAM Apex Kurbel mit einem 40er Kettenblatt und einer 12fach Kassette (10-52) und einem Schaltwerk aus der SRAM Eagle Transmission Serie ausgestattet. Die Transmission Serie besteht aus klassischen Mountainbike Komponenten. Hier geht es mit der Inkompatibilität auch schon richtig los, denn die 10-52 Kassette von SRAM erfordert einen XD Freilauf der eigentlich nur auf Naben passt die bei Mountainbike Felgen Verwendung finden. Die wiederum haben ein Einbaumaß von 148 mm im Gegensatz zu Rennradrahmen mit 142 mm, von denen die GravelBikes ihr Einbaumaß übernommen haben. Das legt die Vermutung nahe, dass ToutTerrain für dieses Bike ein eigenes Hinterrad baut, da die Komponenten eigentlich nicht zusammenpassen.
Das erste Gravel- Bikepacking-Bike mit Serienmäßigen Mullet-Antrieb war das Salsa Cutthroat, dessen erste Version 2015 auf den Markt gekommen ist. Das hat funktioniert, weil der Rahmen mit seinem Einbaumaß von 148 mm schlicht und einfach ein abgewandelter MTB-Rahmen war und von den Spezifikationen nicht an den Rennradkosmos angelehnt war.
Wenn Du Dein Bike für Bikepacking zu verwenden lohnt es sich auf alle Fälle über ein Mullet-Setup nachzudenken, da die riesige Übersetzungsbandbreite auch bei langen Anstiegen mit heftigen Steigungen noch ein weiterfahren mit ordentlich Gepäck ermöglicht.
Zum Vergleich mit den oben beschriebenen Setups: Kurbel mit 40er Kettenblatt ergibt bei der angenommenen Trittfrequenz von 85 rpm im kleinsten Gang eine Geschwindigkeit von 8,7 km/h und in der längsten Übersetzung eine Geschwindigkeit von 45 km/h.
Spannend wird das Setup wenn man vorne ein Kettenblatt mit 34 Zähnen verbaut. Dann ergibt sich eine Geschwindigkeit von 7,4 km/h in der leichtesten Übersetzung und immer noch 38,5 km/h in der längsten Übersetzung.
Die Werte liegen auf den ersten Blick nicht weit auseinander. Wenn man die Trittfrequenz auf 70 rpm reduziert, ergibt sich eine Geschwindigkeit von 6,1 km/h. Mit einem solchen Setup ist es machbar, auch mit Gepäck, mal eine Stunde richtig richtig bergauf zu kurbeln.

Copyright: www.sram.com
Sommer 2025 Update - neue Schaltungen von SRAM
Im Sommer 2024 hat SRAM die RED XPLR vorgestellt. Diese verfügt über eine 13-fach Kassette und ein Schaltwerk das nicht nur in der Lage ist, 13 Gänge zu schalten sondern auch mit einem Käfig ausgestattet ist, der eine Kassette mit einem 46er Ritzel für den leichtesten Gang ermöglicht. Traditionell ist die RED Serie als High-End Serie von SRAM bekannt, was sich leider nicht nur in Gewicht und Performance bemerkbar macht, sondern auch massiv imm Preis.
Im Sommer 2025 bekommen nun die Rival und die Force Serien ihr Upgrade. Die beiden Schaltwerke sind nun auch in der Lage, 13 Gänge zu schalten und kommen mit den ebenfalls neuen 10-46 Kassetten klar. Das ist mit einer Übersezungsbandbreite von 460% ein guter Kompromiss zu den Mullet Setups mit 10-52 Kassette, die zwar mit 520% über eine noch größere Bandbreite verfügen, aber nicht auf den XDR Freilauf passen, sondern den aus dem MTB Kosmos bekannten XD Freilauf benötigen.
Die 10-46 Kassette mit 13 Ritzeln verfügt über eine Bandbreite, die auch für eingefleischte Fans von zwei Kettenblättern an der Kurbel eine Alternative mit vielen Vorteilen bietet.
Preislich liegen die überarbeiteten Rival und Force Komponenten auf einem ähnlichen Niveau wie die alten Komponenten. Also ganz deutlich unter dem Preisniveau der RED Komponenten.
Für allen LeserInnen die schon mit den Reifen scharren und bei der nächsten Gelegenheit Ihr Schaltwerk und die Kassette upgraden wollen… Die neuen Schaltwerke benötigen einen Direct Mount fähigen Rahmen und sind leider nicht am Schaltauge zu montieren.
Was der Unterschied zwischen Direct Mount und Montage des Schaltwerks am Schaltauge ist, erkläre ich auf der Seite Rahmen > Direct Mount und UDH.

Kette: geölt oder gewachst
Eine gewachste Kette bietet gegenüber einer geölten Kette einige unschlagbare Vorteile.
– Ein sauberer Antrieb: Eine gewachste Kette hat kaum Dreckanhaftung und bildet keinen Schmutzfilm. Das ist Gerede bei trockenen und staubigen. Bedingungen ideal. Also perfekt für Gravel und Bikepacking. Saubere Hände beim Aus- und Einbau des Hinterrads, sowie die nicht mehr schmutzigen Hosenbeine sind da ein wirklich angenehmer Nebeneffekt.
– Geringerer Verschleiß: Durch die geringere Schmutzanhaftung ansteht weniger Reibung. Staub und Dreck zwischen den Kettengliedern wirkt wie Schmirgelpapier. Durch sauberere Komponenten erhöht sich die Kilometerleistung des gesamten Antriebs entscheidend.
– Sehr leiser Lauf: Der komplette Antrieb ist gerade bei einer frisch gewachsten Kette wesentlich leiser und produziert weniger Eigengeräusche.
Einige Nachteile gibt es auch:
– Vor dem Wechsel auf Wachs müssen alle Komponenten des Antriebs gründlich gereinigt und komplett von Öl befreit werden. Daher macht eine Umstellung am meisten Sinn wenn sowieso ein Austausch von Kette, Kettenblatt und Kassette ansteht.
– Wachs wäscht sich bei Regen schneller aus als Öl und muß nach einer „nassen“ Fahrt zwingend mit einem Flüssigwachs nachgewachst werden. Gewachste Kette bedeutet somit einen etwas erhöhten Wartungsaufwand. Bei mehrtägigen und längeren Fahrten solltest Du ein Fläschen mit Flüssigwachs dabei haben, sonst läuft die Kette trocken, was sich dann in einem höheren Verschleiß und Rost bemerkbar macht.
Die Kette selber zu wachsen zieht schnell eine Investition von mehreren hundert Euro nach sich (Ultraschallbad zum Reinigen der Komponenten, Wachsbad usw.). Es gibt mittlerweile aber auch eine Menge Bikesops und Werkstätten, die den Wechsel auf gewachste Kette als Service anbieten. Im Web gibt es auch Anbieter die Ketten für verschiedene Antriebssysteme und Hersteller, fertig gewachst anbieten.
Praktische Erfahrungen kann ich an dieser Stelle leider noch nicht mitteilen, da ich noch warten möchte bis mein Antrieb erneuert werden muß. Es wird noch ca 500km dauern bis ich Kette, Kettenblatt und Kassette ersetzen muß, aber die Komponenten liegen schon vorbereitet bereit. Dann gibt es direkt nach einigen hundert Kilometern einen Erfahrungsbericht.
Mechanisch oder elektrisch
Direct Mount und UDH
Bremsen
Ich arbeite gerade daran eine Kompatibilitätsübersicht der aktuellen Antriebskomponenten und der hierfür benötigten Freiläufe und Innenlager zu erstellen. Schreibt mir bitte ob eine solche Zusammenstellung interessant ist, oder ob das niemanden interessiert.